Seit Monaten steht eine groß angelegte Krankenhausreform im Raum, die den Herausforderungen, denen sich die deutsche Gesundheitslandschaft gegenübersieht, begegnen soll. Doch greifen hier Probleme und Lösungen wirklich ineinander? Schon der internationale Vergleich zeigt: Wohl nicht. Bestätigt wird diese Einschätzung durch die Betrachtung relevanter Kernpunkte: Wirtschaftliche Engpässe, bedingt durch Pandemie, Inflation und wissenschaftlichen Fortschritt, kann nicht durch einen Systemwandel begegnet werden. Qualifiziertes Personal, vor allem in ländlichen Gebieten, ist nur zu finden, wo Ärzten und Pflegekräften ein attraktives und anspruchsvolles Lern- und Arbeitsleben statt fließbandartiger und mangelnder Inhalte angeboten werden kann. Und eine flächendeckende, hochqualifizierte Versorgung in modernen Einrichtungen könnte von den Reformplänen gar nicht nur nicht gefördert, sondern vielmehr systematisch gefährdet werden. Die sprichwörtliche „Verschlimmbesserung“ auf dem Prüfstand.
Die Gesundheit ist den Deutschen der wichtigste Aspekt des Lebens - noch vor dem Familienleben, einer guten Bildung und Aspekten rund um die berufliche Tätigkeit einschließlich des finanziellen Einkommens. Das fand die Konrad Adenauer Stiftung in einer Studie aus dem Jahr 2017 heraus.
Umso erstaunlicher ist, dass die Gesundheitspolitik wenig unternimmt, um ein stabiles und leistungsfähiges System der Gesundheitsversorgung zu entwickeln. Das Gegenteil ist leider der Fall: In der ambulanten Versorgung müssen immer mehr Praxen schließen, weil es keine Nachfolger für die ins Alter gekommenen Hausärzte insbesondere in ländlichen Regionen gibt. Und auch die Krankenhäuser machen aktuell Schlagzeilen vor allem durch Insolvenzen und Schließungen. Aller Voraussicht nach wird die Krise im deutschen Krankenhaussektor noch weiter an Dramatik gewinnen. Nach einer aktuellen Umfrage von Roland Berger können mehr als zwei Drittel der Krankenhäuser ihre Kosten nicht decken. In den nächsten Jahren wird deshalb eine Welle von weiteren Schließungen erwartet.
Der Bundesgesundheitsminister beabsichtigt nun eine große Krankenhausreform, um diesem Trend entgegenzuwirken. Bedauerlich ist nur, dass es sich dabei um eine politische Worthülse handelt, die eher das Gegenteil bewirken wird. Denn sie geht völlig an den Problemen des Sektors vorbei und wird zu einem planwirtschaftlichen System führen, das die Gesundheitsausgaben budgetiert und damit für den einzelnen Patienten rationiert:
Statt der Vergütung von festen Preisen für die einzelnen Leistungen des Krankenhauses sollen 60% der Leistungen durch Kostenerstattung abgegolten werden. Die Leistungen werden dabei planerisch durch die Länder vorgegeben und orientieren sich - so steht zu befürchten - eher an den verfügbaren Haushaltsmitteln als am tatsächlichen Bedarf der Patienten. Eine der großen Stärken des deutschen Gesundheitswesens wird damit aufgegeben: der uneingeschränkte Zugang und die große Angebotsbreite an stationären medizinischen Leistungen. Denn diese Punkte sind nur gegeben, solange das Budget reicht!
Ein ähnliches System besteht mit dem National Health Service (NHS) bereits in UK - zur größten Unzufriedenheit der britischen Bürger. Denn wer es sich leisten kann, bezahlt selber für eine Behandlung außerhalb des staatlichen Gesundheitssystems. Alle anderen müssen auf eine Therapie warten - oder verzichten.
Dass ein solches Modell hierzulande von einem SPD-Minister vorangetrieben wird, überrascht umso mehr, da der Sektor auf unbestreitbare Stärken und Erfolge verweisen kann: Was die Personalproduktivität anbelangt, liegen die deutschen Krankenhäuser nach wie vor an der Spitze der OECD-Länder, gleichsam sind die Patienten mit der stationären Versorgung sehr zufrieden. Auch die Behandlungsqualität dürfte im Durchschnitt sehr gut sein, bei einer zugegebenermaßen hohen Varianz zwischen den einzelnen Krankenhäusern.
Vor diesem Hintergrund wäre es sinnvoller, statt eines Wechsels hin zu einem erwiesenermaßen wenig sinnvollen System die tatsächlich in der Gesundheitsbranche existierenden Probleme anzugehen. Nachfolgend möchte ich gerne auf die - nach meinem Erachten - fünf wichtigsten Handlungsfelder zur Sicherstellung der stationären Versorgung eingehen. Ich würde mir wünschen, dass die Politik hierfür die sachlich gebotenen Rahmenbedingungen schafft:
Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit - Dreh- und Angelpunkt jeder ernsthaften Krankenhausreform
Im Moment schreibt die überwiegende Anzahl der Krankenhäuser Verluste. Grund sind die im Nachgang der Covid 19-Pandemie verringerten Einnahmen aufgrund niedrigerer Fallzahlen bei gleichzeitiger erheblicher Kostensteigerung aufgrund der hohen Inflation - eine Folge des Ukrainekriegs. Aus diesen beiden Ereignissen - dem Auftreten eines neuen Virus und dem Ukraine-Krieg - jedoch den Schluss zu ziehen, man müsse die Finanzierung des Krankenhaussystems grundlegend umstellen und das Fallpauschalen-System weitestgehend abschaffen, ist logisch nicht nachvollziehbar. Denn dieses Finanzierungssystem hat offensichtlich nicht die wirtschaftlichen Schwierigkeiten verursacht, in denen die Krankenhäuser heute stecken.
Vielmehr sollte das Fallpauschalen-System im Grundsatz aufrechterhalten werden, weil es sich in der Praxis bewährt hat: Denn es bezahlt ja gerade die tatsächlich erbrachten Leistungen der Krankenhäuser und hat seit der Einführung in 2002 fast zu einer Halbierung der Liegezeiten geführt. Wodurch ganz wesentlich auch die investiven Kosten für die Erhaltung und Erneuerung der notwendigen Krankenhaus-Infrastruktur gesenkt werden!
Eine Ablösung des Fallpauschalen-Systems ist nur in den Bereichen sinnvoll, in denen das Krankenhaus signifikante Vorhaltekosten unabhängig von der tatsächlichen Inanspruchnahme hat. Das ist sicherlich die Notaufnahme, in der immer erhebliche personelle Ressourcen vorgehalten werden müssen, auch wenn diese - hoffentlich - nicht durch Patienten in Anspruch genommen werden müssen. Gleiches gilt für die Intensivstation, für andere Bereiche kaum.
Allerdings wäre zu überlegen, wie die staatlich vorgegebenen Preise stärker an die aktuelle Kostenentwicklung geknüpft werden können. Ihren Grund haben die Verluste der Krankenhäuser nämlich in dem aktuell hohen Anstieg der Kosten von 8-10 %, denen ein gesetzlich vorgegebener Preisanstieg von nur 5,13 8 % gegenübersteht. Und diese Preis-Kosten-Schere bestand in den vergangen 2 Jahren ebenso. Die Verhältnisse werden sich zwar in den kommenden Jahren wieder umkehren, wenn einer reduzierten Inflationsrate ein höherer Preisanstieg gegenüberstehen wird. Aber nicht allen Krankenhäusern wird es vergönnt sein, dieses rettende Ufer zu erreichen.
Was bleibt, ist ein längerfristiger Trend, der von der Politik leider völlig ignoriert wird: Die Medizin macht aus vormals verstorbenen Patienten Chroniker. Für den Einzelnen ist das phantastisch, für das System aber sehr teuer. Einige Beispiele: Ein Nierenversagen war noch bis in die 70er Jahre ein Todesurteil. Dann kam der breite Einsatz von Dialysetechnik; der Patient muss nun vom Gesundheitssystem noch viele Jahre versorgt werden. Ähnliches erleben wir bei der Behandlung von AIDS-Patienten. Und auch die aktuellen Entwicklungen insbesondere in der Krebsmedizin lassen ein Anhalten dieses Trends erwarten. So wunderbar und wünschenswert sie sind: Durch Innovationen in der Medizin steigen auch die lebenslangen Gesundheitskosten. Den medizinischen Fortschritt zu stoppen, kommt nicht in Frage - wir müssen also entweder mehr erwirtschaften oder einen höheren Anteil der Gesundheitskosten am Gesamteinkommen akzeptieren.
Fazit: Die aktuellen und langfristigen wirtschaftlichen Probleme des Krankenhaussektors werden durch die Änderung des Finanzierungssystems nicht gelöst. Und das ganze System der Fallpauschalen muss auf keinen Fall abgeschafft, sondern allenfalls modifiziert werden.
Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal
In der öffentlichen Debatte wird weitreichend beklagt, dass es zu wenig „weißes Personal“ im Krankenhausbereich gibt. Heute bereits eine der größten Herausforderungen, wird dieser Umstand in Zukunft noch heikler, weil schon in wenigen Jahren eine große Anzahl jetzt noch aktiver Mitarbeiter in den Ruhestand gehen wird. Dass dies zusammenfällt mit den gerade eingeführten Personaluntergrenzen ist mehr als misslich. Denn diese haben den Wettbewerb um das klinische Personal nur weiter verschärft. Wo jetzt ein Krankenhaus genügend Mitarbeiter einstellen kann, fehlen diese in einem anderen. Oder auf den Punkt gebracht: Wenn die Decke zu kurz ist, friert man entweder an den Füßen oder an der Schulter. Aber man friert.
Viel wichtiger ist deshalb eine deutliche Steigerung der Ausbildungskapazitäten für Pflegekräfte und sonstiges medizinisches Personal. Am besten Hand in Hand mit der längst überfälligen Ausweitung von Studienplätzen für Ärzte. Dazu müssten nicht nur neue Kapazitäten an den Hochschulen der Länder, sondern auch viele neue Schulen für Gesundheitsberufe an den Krankenhäusern entstehen. Vor allem wäre es hilfreich, wenn der Pflegeberuf öffentlich an Attraktivität gewinnt – als eine sinnvolle Tätigkeit mit großer Verantwortung und akzeptabler Arbeitsbelastung, die hervorragend kompensiert wird. Während der dreijährigen Ausbildung liegt die Vergütung der Auszubildenden bereits im Spitzenfeld aller Ausbildungsberufe und wird nur von den Fluglotsen geschlagen. Gleichzeitig bietet sich dem Berufseinsteiger die Möglichkeit zur professionellen Weiterentwicklung bis hin zu einem akademischen Studienabschluss.
Stattdessen sind die anhaltenden Klagen in der öffentlichen Wahrnehmung sehr kontraproduktiv, die Pflegenden seien unzureichend bezahlt und ständig überlastet. So gewinnt man keine Schüler für diesen Beruf!
Zudem sollten die Eingangsqualifikationen für ausländische Schüler deutlich abgesenkt werden. Nicht erforderlich ist zum Beispiel eine sehr hohe deutsche Sprachfähigkeit (B2). Vielmehr können ausländische Schüler anfangs auch gut in ihrer eigenen Landessprache unterrichtet werden, während der Deutschunterricht begleitend und aufbauend erfolgen kann. Denn wir sind auf die Einwanderung ausländischer Schüler in Zukunft angewiesen, weil die Bevölkerung weltweit wächst - nur leider nicht in Deutschland. Hier liegt der Altersdurchschnitt aktuell bei 46,2 Jahren, während er in Tansania - wo unsere Stiftung pro bono ein Krankenhaus mit Pflegeschule betreibt - 16,2 Jahre beträgt!
Weiterentwicklung der medizinischen Qualität als Schlüssel für eine hochwertige Versorgung
Seit Jahren sind sich alle Akteure im Gesundheitswesen einig, dass die Qualität der medizinischen Versorgung ständig weiterentwickelt werden muss. Das betrifft vor allem die Varianz zwischen den einzelnen Krankenhäusern, weniger das absolute Niveau.
Das Bundesministerium für Gesundheit hat nun einen Vorschlag erarbeitet (den die Bundesländer ablehnen), die Krankenhäuser in drei Versorgungsstufen einzuteilen, in denen jeweils nur bestimmte Indikationen behandelt werden dürfen. Damit soll die Qualität der Behandlung durch Schwerpunktbildung an den Krankenhäusern einer spezifischen Versorgungsstufe sichergestellt werden.
Dieser Vorschlag ist wenig sinnvoll, weil die Qualität der Behandlung von den indikationsspezifischen Fallzahlen eines Krankenhauses abhängt und nicht von seiner planerischen Versorgungsstufe. Von daher würde ich eher den Weg sehen, die heute bereits existierenden Mindestfallzahlen anzuheben und auf weitere Indikationen deutlich auszudehnen.
Denn nach meiner Erfahrung und Überzeugung ist nicht die Größe eines Krankenhauses oder seine Zuordnung zu einer Versorgungsstufe ausschlaggebend für die Qualität seiner Leistungen, sondern vielmehr die Größe und der Grad der Spezialisierung der einzelnen Abteilung. So werden die seltenen Operationen von Tumoren an der Speiseröhre in Frankfurt durch drei spezialisierte Abteilungen von Allgemeinkrankenhäusern erbracht, nicht aber durch die Universitätsklinik, da diese die Mindestfallzahlen nicht erreicht. Soll sich das in Zukunft ändern, weil nur noch die Universitätsklinik der Versorgungsstufe 3 zugeordnet wird? Wird sich die Qualität der Versorgung verbessern, wenn statt der geübten Operateure in spezialisierten Einrichtungen künftig ungeübte Ärzte riesiger Einrichtungen eine bestimmte Operation ausführen?
Versorgung der Bevölkerung in der Fläche
In der öffentlichen Diskussion wird seit Jahren schon ein Thema auf die lange Bank geschoben: die Neuordnung der Versorgung im ländlichen Raum. Denn in der heutigen Struktur ist es zunehmend unmöglich, dort qualitativ hochwertige Leistungen anzubieten!
Auf dem Lande sind die Fallzahlen zu gering, um junge, ambitionierte Mitarbeiter für die Klinik zu gewinnen. Fachärzte erreichen nicht die notwenigen Fallzahlen, um ihre Expertise weiterzuentwickeln. Assistenzärzte bekommen im Rahmen der Facharztweiterbildung nicht genügend relevante Inhalte geboten. Und weil die notwendigen Mindestfallzahlen nicht erreicht werden, wird das Leistungsangebot immer kleiner.
Sollten nun - wie vom Bund angedacht - die ländlichen Krankenhäuser nur noch die Leistungen der Basisversorgung (Versorgungsstufe 1) erbringen dürfen, werden auch noch die wenigen verbliebenen elektiven Leistungen wegfallen. Das dadurch verursachte wirtschaftliche Defizit kann zwar durch ein Angebot von Vorhaltepauschalen ausgeglichen werden – aber das unausweichliche Fehlen von qualifizierten Mitarbeitern lässt sich durch Geld nicht ersetzen!
Nur eine andere Versorgungsstruktur wird helfen, das fundamentale Problem von kleinen Krankenhäusern in ländlichen Regionen, nämlich eine kümmerliche Versorgung der Bevölkerung bei anhaltenden ökonomischen Defiziten, zu bewältigen. Und diese andere Versorgungsstruktur wird schwer umzusetzen und ausgesprochen unpopulär sein, weil eine sehr emotionale Verbindung der ländlichen Bevölkerung zu „ihrem“ Krankenhaus besteht. Jeder Landrat in einer ländlichen Region muss sich Sorgen machen, ob er nach der Schließung des kleinen Landkrankenhauses und Schaffung einer neuen Versorgungsstruktur noch einmal wiedergewählt wird. Eine goldene Lösung gibt es leider nicht. Zentralisierungsbestrebungen sind schon häufig am Willen der Bürger und den enormen Investitionskosten gescheitert, Portalklinikkonzepte sind medizinisch fragwürdig und Bürgerinitiativen gehen gegen die Umwandlung von kleinen Krankenhäusern in ambulante Einrichtungen zur Erstversorgung vor. Kreativität und lohnende Lösungen sind gefragt – und vielleicht gelingt ja die Einführung eines „Krankenhaus auf Rädern“.
Weiterentwicklung der Infrastruktur
In der Öffentlichkeit wird häufig suggeriert, wir hätten eine fantastische Krankenhausinfrastruktur in Deutschland. Ohne Zweifel ist es richtig, das wir aktuell mit ca. 8 Betten pro 100.000 Einwohner deutlich über dem europäischen Durchschnitt liegen, der eher bei 5-6 Betten liegt.
Was dagegen fehlt, sind moderne, hinreichend ausgestattete Funktionsbereiche wie Operationssäle, Radiologie-Abteilungen, Endoskopien sowie andere diagnostische und interventionelle Bereiche. Und die werden heute weitaus mehr gebraucht, denn die Fallzahl steigt deutlich an, während die Liegezeit der Patienten im Krankenhaus kontinuierlich abnimmt: Heute liegt der durchschnittliche Patient mit ca. 7 Tagen nur noch halb so lang im Krankenhaus wie zu Beginn der 90er Jahre, nimmt aber dafür die Funktionsbereiche umso intensiver in Anspruch. Deshalb brauchen wir Krankenhäuser, die für die Medizin des 21. Jahrhunderts gebaut sind - mit großen und differenzierten Funktionsbereichen - und keine nutzlosen Bettenburgen!
Aufgrund der dualen Finanzierung ist es Aufgabe der Länder, den Ausbau einer modernen Infrastruktur für die stationäre Versorgung zu finanzieren. Seit 1990 sind aber die zur Verfügung stehenden Fördermittel um real fast 50 % gesunken. Deswegen sitzt Deutschland zunehmend auf einer überdimensionierten, alten Infrastruktur, statt über moderne, bedarfsgerechte Krankenhäuser zu verfügen. Oder prägnant formuliert: Unsere Krankenhäuser gleichen eher den alten Schlachtschiffen des zweiten Weltkriegs als einer modernen Flotte.
Als Fazit kann man feststellen, dass die Probleme der stationären Versorgung in Deutschland erkannt, die gesetzlichen Initiativen zur Lösung aber leider völlig untauglich sind. Das ist zumindest überraschend, weil das Gesundheitsministerium aktuell von einem Minister geführt wird, der sich selbst als inhaltlichen Fachmann darstellt.